Einbeins Morgen

Einbeins Morgen

Augen auf. Sonnenmorgen. Lüfterauschen. Vogelkrächz.
Wärme. An meinem Fuß?

Nein, nicht schon wieder eine Feldmaus. “Dank” dieser kleinen Quälgeister verliere ich an Form. Herauf gekrabbelt, Halm nach Halm. Gezupft und wieder, husch husch, fort.
Wenn ich könnte würd’ ich stampfen, würd’ ich grollen.

Doch da kommt meine Rettung. Lärm, schneidendes Getöse. Der Mähdrescher! Ich habe keine Sorge, denn er lässt mich stehen.

Stupser. Blick nach unten. Oh, doch keine Maus. Nur ein Kitz mit Angst in den Augen.

Ich schaue auf. Schüttle mich und strecke mich. Eine leichte Brise, meinen Hut zurechtgerückt, fühle ich mich verwegen.

Jetzt habe ich noch eine Aufgabe.

Ich pass auf das Kleine auf.

 

Kategorie: Geschichten

Hoffnung oder von Bäumen und Höhlen

Hoffnung oder von Bäumen und Höhlen

Es waren einmal ein Eichhörnchen und ein Maulwurf.
Die hatten sich von Herzen gern und respektierten ihre Unterschiede.
Das Eichhörnchen sprang gern von Baum zu Baum, der Maulwurf krabbelte gern von Höhle zu Höhle.
Wenn sie sich sehen wollten, trafen sie sich auf der schönen großen grünen Wiese. Sie spielten dort. Sie küssten und liebkosten sich. Hinter Erdhügeln oder Büschen, je nach Laune.
Manchmal besuchte das Eichhörnchen auch den Maulwurf in seinem Bau. Da hatte das Eichhörnchen immer furchtbare Beklemmungen. Doch der Maulwurf versuchte dem Eichhörnchen die Angst zu nehmen und sprach beruhigend auf es ein.
Er sprach von dem Geruch der Erde und wie viele schöne Gänge er hatte. Und über das Erzählen ging es dem Eichhörnchen schon viel besser. Meistens jedenfalls.
An anderen Tagen besuchte der Maulwurf wiederum das Eichhörnchen in seinen Bäumen. Der Maulwurf ist sehr schwerfällig und kann einen Baum alleine nicht hoch klettern, doch das Eichhörnchen half dem Maulwurf. Es band ihm ein Seil um den Bauch, um ihn daran hochzuziehen.
Dies erstaunte einen Raben, der auf dem Nachbarbaum saß ganz gehörig. Da er aber ein alter und weiser Rabe war, lächelte er nur und winkte dem Maulwurf ermutigend zu.
So lernte der Maulwurf die Wohnstatt des Eichhörnchens kennen.
Und wenn der Maulwurf auf dem Weg nach oben Höhenangst bekam, versuchte das Eichhörnchen ihm die Angst zu nehmen und sprach beruhigend auf ihn ein.
Es sprach von den Düften der Lüfte, von den schönen grünen Blättern und den leckeren Nüssen. Und über das Erzählen ging es dem Maulwurf schon viel besser. Meistens jedenfalls.
So besehen lief alles ganz prima mit den beiden.
Aber dann passierte etwas oder vielleicht passierte es so nach und nach und gar nicht plötzlich, und alles sah ganz anders aus.
Und das geschah so:

Das Eichhörnchen besuchte den Maulwurf immer öfter in seiner Höhle, denn es hatte häufig in der Gegend zu tun. Nüsse sammeln und so.
Der Maulwurf freute sich darüber, denn das kam seiner bequemen und höhenängstlichen Natur entgegen.
Das Eichhörnchen wiederum kannte sich nun schon ziemlich gut in den dunklen Höhlen und Gängen aus. Es hatte zwar immer noch Beklemmungen, aber es versuchte alleine damit klar zu kommen und stellte sich vor, dass die Gänge hell wie der Himmel seien und dass überall grüne Blätter raschelten.
Mit diesen Vorstellungen kam das Eichhörnchen dann bei der Wohnhöhle des Maulwurfs an. Der Maulwurf hatte dem Eichhörnchen nicht geholfen, sondern einfach nur gewartet; er war mittlerweile daran gewöhnt, dass das Eichhörnchen den Weg alleine zu ihm fand.
Das Eichhörnchen war dann meist enttäuscht beim Anblick des Maulwurfs, wie er da so in seinem Schaukelstuhl hockte und eine Pfeife schmauchte. Es hatte ja immer noch die Vorstellungen von frischer Luft und grünen Blättern im Kopf.
Das Eichhörnchen beschwerte sich beim Maulwurf: das würde stinken und überhaupt, der Maulwurf müsse Fenster bauen und Pflanzen aufstellen.

Der Maulwurf war erschrocken und sagte, dass er das nicht machen könne, seine Gänge würden einbrechen, wenn er Löcher für Fenster machen würde.
Das Eichhörnchen nörgelte weiter, der Maulwurf solle doch dann wenigstens die Pfeife ausmachen, damit die Luft frischer wird.
Der Maulwurf sträubte sich auch da zunächst, aber er wollte nicht, dass das Eichhörnchen böse auf ihn ist und so machte er die Pfeife aus.
Aber eigentlich fand der Maulwurf das ungerecht, er sagte ja auch nie was, wenn das Eichhörnchen auf seinem Wohnbaum rauchte. Und im Übrigen, es war ja seine Wohnung und da konnte er machen was er wollte.

So etwas kam immer häufiger vor und auch, wenn der Maulwurf das Eichhörnchen doch mal besuchte, sagte das Eichhörnchen nicht mehr so schöne beruhigende Worte, sondern fauchte den Maulwurf an: er solle sich nicht so anstellen und nicht so träge auf den Ästen hocken.
So nach und nach wurde das immer schlimmer. Klage reihte sich an Klage, Vorwurf an Vorwurf.
Immer wenn sie zusammen waren, war es bei ihnen wie mit den zwei Stachelschweinen, die zueinander wollen, weil ihnen kalt ist.
Die gehen nämlich aufeinander zu und wenn sie sich gerade umarmen wollen, stechen sie sich gegenseitig mit ihren Stacheln und ziehen sich wutentbrannt und enttäuscht zurück. Aber sie versuchen es immer wieder auf diese Weise und lernen nie dazu, wie man es anders machen könnte.
So ging es auch mit Maulwurf und Eichhörnchen.
Sie konnten oder wollten einfach nicht sehen was falsch daran war – was sie falsch machten.
Sie warfen sich Schimpfworte an den Kopf und ihre Unterschiede akzeptierten sie schon lange nicht mehr.
Beide waren sehr unglücklich.
Einmal war der Streit so schlimm, dass Eichhörnchen wild vor Zorn und traurig zugleich aus der Höhle gestürmt war und Maulwurf wild vor Zorn und traurig zugleich zurückgeblieben war.
Maulwurf heulte sich die Augen aus.

Was Eichhörnchen machte, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. Die Schnecke, die der Maulwurf los geschickt hatte, erwies sich ob ihrer Gemächlichkeit nicht als Kundschafter geeignet. Sie brachte nur in Erfahrung, dass sich das Eichhörnchen in einen anderen Wald zurückgezogen hatte.

Als es dem Maulwurf etwas besser ging, wandte er sich an jenen alten Kolkraben, an den er sich erinnerte, weil dieser ihm so freundlich zugewunken hatte, als er das erste Mal an einem Seil baumelnd Eichhörnchen besuchte. Der hatte glücklicherweise auch gerade Zeit für ihn.
Und was der sagte, erstaunte den Maulwurf ganz gehörig.

Der Rabe sagte:
“Man kann Liebe nicht herbei zwingen. Eigene Vorstellungen sind gut, aber man darf sie jemand anderen nicht aufzwingen. Streit ist gut, aber nur wenn’s einen Sinn ergibt. Sinnlose Streitereien gibt es viel zu häufig.”

Und weiter sagte der Rabe, und der Maulwurf hörte mit großen Augen zu:
“Fehler und Macken hat jeder, man akzeptiert es oder auch nicht, aber man sollte niemanden deswegen demütigen. Es entwürdigt nicht nur den Betroffenen, sondern auch den anderen, den Beschuldiger. Das vergessen die meisten, da sie sich voll im Recht sehen. Dabei gibt’s da gar kein Recht oder Unrecht. Man muss lernen, die Gefühle des anderen zu achten.”

Maulwurf guckte beim letzten Satz verschämt zu Boden, weiß er doch jetzt, dass er und Eichhörnchen in Wirklichkeit nur selten auf die Gefühle des anderen geachtet haben, geschweige denn diese respektiert zu haben.

“Und,” fügte der Rabe hinzu, “es ist gleichzeitig genauso wichtig die eigenen Gefühle zu erkennen und sie zu beachten. Wenn nicht, verliert man womöglich sich selbst. Auf jeden Fall bekommt man aber Kropfverstopfung, ääh, oder ähnliches.”

Der Maulwurf meinte dann zu dem Kolkraben, dass das aber ganz schön schwierig klänge.
Der Rabe antwortete daraufhin:
“Ja, das stimmt. Es ist immer schwer, sich in neue unbekannte Flugbahnen zu schwingen. Voraussetzungen und Erwartungen sind da sehr hinderlich. Da ist es wichtig, Hilfe zu haben. Ihr müsst euch gegenseitig helfen. Und vor allem: sprecht miteinander. Schweigen führt zu nichts.”
Der Maulwurf fragte ängstlich, wie sie das denn anstellen sollten und der Rabe empfahl:
“Trefft euch, so wie ihr es am Anfang getan habt, auf der schönen großen grünen Wiese, wo ihr euch beide einigermaßen wohl fühltet. Dort könnt ihr euch begegnen, dort ist Raum für euch beide und ihr könnt neu anfangen. Und von dort aus weiter fliegen, ääh, -gehen.”
“Krä-ächz, so, nun muss ich aber weiter, ich habe Hunger und will mir noch ein paar Leckereien fürs Abendessen besorgen.”
Der Maulwurf bedankte sich beim Raben und sagte noch kleinlaut so was wie “wenn’s doch nur so einfach wär`”, und der Rabe, der schon über dem Maulwurf in der Luft schwebte, rief herunter:
“Wer hat denn gesagt, dass es einfach wäre?!”

Der Maulwurf seufzte tief und tapste zurück zu seinem Bau.
Unterwegs weinte er noch ein wenig vor sich hin, weil ihn das doch alles recht bedrückte.
Er hatte das Eichhörnchen immer noch sehr lieb und vermisste es ganz furchtbar.
Über eine Woche hatte er nichts mehr vom Eichhörnchen gehört und das ist immerhin eine lange Zeit. Für einen Maulwurf jedenfalls.
Er wusste nicht genau, was er tun sollte, aber schließlich setzte er sich an seinen Schreibtisch und schrieb einen langen, langen Brief an das Eichhörnchen, wo soviel darin stand, dass man es hier unmöglich wiedergeben kann.
Gleich am nächsten Tag gab er ihn der Schwalbe mit – die Schnecke war ja noch aus der Puste – damit der Brief auch ja schnell ankommen sollte.

Jetzt wartet der Maulwurf auf eine Nachricht vom Eichhörnchen. Noch hat er keine.
Aber er ist guter Dinge. Nur manchmal packt ihn die Traurigkeit und dann weint er ein bisschen, bis er sich besser fühlt. Er schneuzt ganz doll in sein Taschentuch und kraxelt aus seiner Höhle, um sich den Himmel anzuschauen.

Er zählt vorüberziehende Vögel und hofft ganz fest darauf, dass er eine Antwort bekommt…

Wünschen wir ihm eine.

 

Bemerkung:

Das erste Fabulierte, dass ich fertiggestellt habe und das nicht unter die Rubrik “Lyrik” fällt. Vieles ist ja gedanklich oft schon vorhanden und müsste eigentlich “nur” aufgeschrieben werden…. aber wie das manchmal so ist… Mittlerweile gibt es aber doch ein paar weitere Anfänge, die sich eben noch ein wenig gedulden müssen, bis sie ihre Mitte und Schluß bekommen.

Kategorie: Geschichten